Entzauberung der Grünen in der politischen Realität
Die Grünen kommen dieser Tage brutal auf dem Boden des politisch Machbaren an. Heizungsstreit und Asylkompromiss zeigen: Zahlreiche grüne Positionen sind derzeit nicht mehrheitsfähig. Darüber hinaus: (Keine) Waffenlieferungen, Kohleabbau (Lützerath), Klimaschutzgesetz – die Grünen konnten ihre Kern-Positionen in der Regierung nie halten.
Zudem entzaubert sich die Partei selbst. Neben handwerklichen Fehlern haben die Graichen-Affäre und weitere Compliance-Skandale (FB vom 08.06.) vor allem Frontmann Robert Habeck schwer persönlich beschädigt. Der Nimbus, eine bessere Partei zu sein, ist verschwunden. Die Grünen sind im politischen System angekommen und "ticken" wie alle anderen Parteien in den gleichen Strukturen. Ergebnis: Während die Grünen Ende des vergangenen Jahres noch die Bestimmer der politischen Agenda waren (FB vom 28.11.2022), geben nun SPD und FDP den Ton an.
Koalitionspartner profilieren sich auf Kosten der Grünen
Die Ampelpartner SPD und FDP versuchen, die Bruchlandung der Grünen für sich zu nutzen. Sie profilieren sich auf Kosten der Öko-Partei. Sie präsentieren sich als diejenigen, die sich nicht von Ideologie leiten lassen, sondern die Sorgen und Nöte der Menschen kennen. Die Botschaft: Realpolitik statt knallharte Öko-Ideologie.
Diese Strategie ist nur bedingt erfolgreich. Auch SPD und FDP schaffen es nicht, den Bürgern Handlungsfähigkeit und -kompetenz zu vermitteln. Aber sie halten momentan ihre Umfragewerte immerhin halbwegs konstant (SPD: 18% - 21%, FDP 6% - 8%). Die Grünen hingegen stürzen immer tiefer (akt. 14%). Steigende Umfragewerte verzeichnen dagegen die Oppositionsparteien CDU/CSU (28%) und die AfD (19%).
Zum "Weiter so" verdammt
Der Realitäts-Schock der Grünen wird auch das bestimmende Thema des Länderrates am Samstag (17.6.) sein. In dem treffen Parteivorstand, Länder- und Kreis-Chefs sowie die Grüne Jugend zusammen. Auf diesem „kleinen Parteitag“ wird es hoch hergehen und eine Linie zwischen "mehr grünem und fundamentalem Kern" und "mehr Realo-Positionen in der Regierungsverantwortung" gesucht werden.
Es ist wahrscheinlich, dass die Grünen versuchen werden, neue "rote Linien" zu ziehen. Der Asylkompromiss dürfte zähneknirschend akzeptiert, weitere Asylverschärfungen (etwa die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten) aber abgelehnt werden. Damit wäre der nächste Ampel-Streit vorgezeichnet. Und die Grünen gehen ins Risiko, wieder eine "rote Linie" überschreiten zu müssen.