Draghis aussichtsloser Kampf
Der durchschlagende Erfolg von Mario Draghis Reformplänen wird ausbleiben. Denn er muss ein ökonomisch siechendes, politisch zerstrittenes und administrativ desolates Land wieder auf Kurs bringen – etwas, das vor ihm kein anderer geschafft hat. Um das zu erreichen, bekommt er Finanzmittel in der Dimension des Marshall-Plans zur Hand (vgl. FB vom 22.4.21).
Doch die Zeit für Draghis Vorhaben ist knapp. Er hat zwei Jahre bis zur nächsten Parlamentswahl – dann werden die politischen Karten neu gemischt und womöglich wird der von ihm gelegte Grundstein wieder beseitigt. Das ist sehr ambitioniert, um die strukturellen Probleme des Landes zu lösen, meint auch die Stiftung Wissenschaft und Politik.
Lethargie in Süditalien
Gerade in Süditalien, das 40% der EU-Gelder erhalten soll, ist wirtschaftlich seit einem halben Jahrhundert nichts passiert. Viele Regionalpolitiker pflegen beste Kontakte zur örtlichen Mafia, die Infrastruktur ist schlecht, das Ausbildungsniveau der Jugend gering, nennenswerte Rohstoffvorkommen gibt es nicht. Die Wirtschaft ist vor allem von der Landwirtschaft geprägt.
In Norditalien sind die Bedingungen bekanntlich günstiger aber auch dort regt sich bereits Widerstand. So schießt der Regionalpräsident der Lombardei Attilio Fontana von der Lega Nord gegen Verwaltungsreformen und pocht darauf, dass die von Draghi angekündigte Verwaltungsreform auf keinen Fall die Eigenständigkeit der Regionen berühren dürfe. Auch mit dem Regionalpräsident von Venetien Luca Zaia (ebenfalls LN) liegt Draghi über Kreuz. Hier geht es vor allem um Corona-Lockerungen. Eine gute Zusammenarbeit ist unwahrscheinlich. Auch in Piemont und Ligurien beobachtet das konservative Polit-Establishment die neue Führung in Rom argwöhnisch.
Alles außer Austerität
Was, wenn Draghi scheitert? Angesichts steigender Euro-Zinsen schlittert Italien akut auf die Staatspleite zu. Den ESM wird Rom im Falle der Zahlungsunfähigkeit aber nicht anrufen. Denn ein Spar-Diktat wie es Griechenland über sich ergehen ließ, wollen die Italiener auf keinen Fall. Auch das Wort Steuererhöhungen mag in Rom niemand laut aussprechen. Das wird auch eines der Drohszenarien der Anti-EU-Parteien im Wahlkampf 2023 sein.
Ein Umfrage-Experiment des Max Planck Instituts hat gezeigt, dass nur 31% der Italiener bereit wären, im Fall der Zahlungsunfähigkeit die Auflagen des ESM anzunehmen. 45,9% würden lieber den Austritt Italiens aus der Eurozone oder gleich der EU sehen. Von dieser Stimmung profitiert die Anti-Euro-Partei Fratelli d’Italia – bei der letzten Wahl quasi bedeutungslos, ist sie seit zwei Wochen in Umfragen die drittstärkste Kraft, nur unwesentlich hinter der sozialdemokratischen PD und der immer weiter absackenden Lega Nord. Der steigende Druck auf den LN-Vorsitzenden Matteo Salvini könnte die Regierungsarbeit noch empfindlich zusätzlich stören.
Fazit: Draghi steht unbestreitbar vor einer Mammutaufgabe. Scheitert er, wird Italien die EU in die Schuldenunion zwingen – denn den griechischen Weg will weder in Rom noch anderswo niemand gehen.