Aufbruch unmöglich
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat am Wochenende und im letzten TV-Triell deutlich gemacht, dass er für R2G kämpft. Denn dichter konnte Scholz schon nicht mehr mit der Spitzenkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock (Grüne) zusammenrücken – und für Rot-Grün die Tür zu der Linkspartei aufstoßen.
Scholz und Baerbock argumentierten inhaltlich exakt auf einer Linie. Auffallend oft betonten beide gemeinsame Ziele. Daher hatte ich auch den Eindruck, es handelte sich um ein Duell und es wäre besser gewesen, den beiden entscheidenden Kanzler-Kandidaten die Bühne zu überlassen. Aus welchen Gründen Baerbock, die nach aktuellen Umfragen keine realistische Chance mehr auf den Wahlsieg hat und mit den Grünen die kleinste Fraktion (abgesehen von der CSU) im aktuellen Bundestag stellt, noch immer in diesem TV-Format auftreten darf, kann ich nicht verstehen.
Politischer Preistreiber
Zugleich hat Scholz den politischen Preis für eine Beteiligung der Union oder FDP weit nach oben getrieben. Er stellte Bedingungen für eine Koalition auf, die weder Union noch FDP für halbwegs akzeptabel halten und intern leicht verkaufen können. Er will einen Mindestlohn von 12 Euro umsetzen, exakt wie die Grünen. Er will den Spitzensteuersatz erhöhen. Und Scholz spricht - höchst populistisch - eine Rentengarantie aus. Insbesondere Unionskanzlerkandidat Armin Laschet wehrt sich dagegen, eine solche Garantie für 30 Jahre zu unterschreiben - und es ist aufrichtig von ihm, so ehrlich zu sein.
Verhandelt wird nach der Wahl
Über Koalitionen verhandelt wird natürlich erst nach der Wahl - und dann wird völlig neu argumentiert werden. Keine der jetzt aufgestellten Bedingungen wird unverhandelbar sein. Die Frage ist nur: Welche Partei räumt ihre bisherige Position am stärksten, um in die Regierungsverantwortung zu kommen? Dieses Verhandeln wir zäh und langwierig werden - es sei denn, Scholz gewinnt und entscheidet sich unter dem Druck der SPD schnell für R2G.
Das Hauptproblem bei der Koalitionssuche wird die Gesichtswahrung für alle Beteiligten. Entweder, der kleinste dritte Koalitionspartner "fällt inhaltlich um" und übernimmt die Rolle des Mehrheitsbeschaffers. Und ich frage mich schon, ob die FDP noch einmal so stark sein kann, sich nicht "überfahren" zu lassen. Oder - was wahrscheinlicher ist - alle drei Koalitionspartner machen in einzelnen Punkten jeweils weitreichende Kompromisse. Dann jedoch werden sich viele Wähler einerseits fragen, wie glaubwürdig die Parteien vor der Wahl argumentiert haben. In einer Dreier-Konstellation wird außerdem die kollektive Verantwortungslosigkeit noch stärker aufblühen. Denn es gibt noch mehr Partner, auf die jeder mit dem Finger zeigen und sie als "Bremser" und "Verhinderer" darstellen kann.
Fazit: Die Koalitionssuche wird ein Blick in die Zukunft. So wie die Verhandlungen laufen, so werden auch die nächsten vier Jahre. In einer Dreierkonstellation werden Kompromisse noch weitreichender und das stringente Verfolgen von Zielen schwieriger. Eine GroKo ist Mist, eine noch größere Koalition ist noch größerer Mist. Ein Aufbruch wird so nicht gelingen.