Midterms entscheiden auch über das Schicksal der Ukraine
Sollten die Republikaner in der kommenden Woche bei den US-Zwischenwahlen einen Wahlsieg einfahren, braucht die Bundesregierung ein neues Ukraine-Konzept. Denn die Ukraine-Hilfen der Amerikaner (insbesondere Waffen, Finanzen) drohen dann drastisch kleiner auszufallen, wenn nicht gar zu versiegen.
Dieser Rückzug ist zwar auch in der republikanischen Partei nicht unumstritten. Er ist also keineswegs ausgemachte Sache. Sie muss aber als Risiko-Szenario von Berlin unbedingt bedacht werden. Sollte es dazu kommen, müssen sich die Europäer entscheiden: Sind sie bereit sich noch stärker militärisch und finanziell für die Ukraine zu engagieren? Oder bedarf es eines grundlegenden Richtungswechsels?
Kaum Spielraum für weitere Waffenlieferungen aus Deutschland
Es spricht wenig dafür, dass die Europäer überhaupt in der Lage wären, den Krieg im Sinne der Ukraine weiter aufrechtzuerhalten. Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht sieht die eigene Verteidigungsfähigkeit im Falle weiterer Waffenlieferungen aus Bundeswehrbeständen in Gefahr. Aus der SPD-Fraktion heißt es dazu: „Weitere Abgaben an die Ukraine würden bei der angespannten Ausstattung der Bundeswehr zu gravierenden Problemen im Einsatz.“
Sollte Europa weiter Waffen liefern wollen, müssten diese also entweder direkt „vom Band“ der Rüstungsbetriebe geschickt werden. Das dauert aber: Von Rheinmetall hieß es dazu im Februar, dass man Radpanzer nach 15 bis 18 Monaten (also frühestens Mai 2023), Kettenfahrzeuge erst nach 24 bis 28 Monaten liefern könnte. Das ist zu lange. Die andere Möglichkeit wäre, die Waffen direkt in den USA zu kaufen. Daran dürften die eng mit der US-Waffenlobby verbandelten Republikaner ein nicht unerhebliches Interesse haben. Was in jedem Fall feststeht: Die Kriegskosten würden in diesem Szenario massiv ansteigen.
Ein Dilemma ohne Ausweg
Verheerend dürfte auch die psychologische Wirkung eines US-Rückzugs sein. Wer will für weitere Unterstützungen noch politische Mehrheiten finden, wenn sich die wichtigsten Verbündeten zurückziehen? Zudem dürfte sich das gesellschaftliche Klima deutlich verschlechtern, wenn für die Ukraine noch weiter gespart werden muss – nicht nur bei der Energie, sondern womöglich auch bei Rente, Bildung, günstigen Bahn-Tickets… Auch immer neue Schulden werden kein Ausweg aus diesem Problem bieten.
Auf der anderen Seite hieße in diesem Szenario keine massive Unterstützung, dass Russland im Krieg schnell die Oberhand gewinnen dürfte. Aus diesem Dilemma wird es für die Europäer letztendlich keine Lösung geben – eine bittere Pille muss geschluckt werden. Was wird die Bundesregierung tun? Aus dem Bundeskanzleramt heißt es auf Nachfrage von FUCHSBRIEFE nur nichtssagend, dass „hypothetische Fragen“ nicht beantwortet würden.
Hintergrundinfos: Ukraine ist abhängig von den Leistungen der USA
Die USA sind mit Abstand der wichtigste Partner der Ukraine. Laut dem „Ukraine Support Ticker“ des IfW Kiel hätten die USA zwischen dem 24.1. und dem 3.1. 52,3 Mrd. Euro an Hilfen bereitgestellt, davon 27,6 Mrd. Euro für militärische Ausrüstung (Rest humanitär, finanziell). Die EU-Staaten und EU-Institutionen unterstützen das Land mit 29,2 Mrd. Euro, andere Staaten (z.B. UK, Kanada) mit 12,3 Mrd. Euro, davon etwa je ein Drittel für militärische Mittel.
Zudem verliert der Krieg für die US-Bevölkerung an Schrecken. Während im Mai noch 55% der Befragten angaben, dass sie einen russischen Sieg über die Ukraine fürchten, sind es im September nur noch 38% gewesen. Zudem sagten im September 20% der Befragten, dass die Kosten für die Ukraine-Hilfen der USA zu hoch seien (Mai: 7%). Bei den Republikanern war die Meinung mit 32% besonders hoch ausgeprägt. Die Erfahrung lehrt zudem, dass besonders die konservativen Stimmen in den USA in Umfragen oft unterrepräsentiert sind – schon allein deshalb, weil viele Republikaner ihre Aussagen bei Umfragen verweigern.
Fazit: Die Bundesregierung muss in Szenarien denken. Sollten sich die Amerikaner tatsächlich zum Rückzug aus dem Ukraine-Krieg entscheiden, ist „das Ding durch“. Ob es dazu kommt, wird maßgeblich am kommenden Dienstag entschieden – das Risiko-Szenario droht akut zu werden.