Der Unmut der Bevölkerung wächst
Die Bundesregierung wird im Winter (nach nur einem Jahr im Amt) vor der Existenzfrage stehen. Es zeichnet sich klar ab, dass sie zum Jahreswechsel auf einen Kulminationspunkt zuläuft, an dem sie nicht so wird weitermachen können wie bisher. Aktuell baut sich im Angesicht immer weiter steigender Preise ein großes Protestpotenzial auf, das im Herbst zu eskalieren droht und eine Politikanpassung erforderlich machen wird: Entweder sind die Sanktionen gegen Russland nicht unverändert zu halten oder die Schuldenbremse ist hinfällig, weil es immer neue Entlastungspakete geben wird.
Selbsterfüllende Prophezeiung
Dass es zum Protest-Herbst kommt, wird immer wahrscheinlicher. Er wird eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, begleitet von den Unkenrufen der Politik. So warnte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor Protesten gegen die hohen Preise und diskreditierte sie zugleich, in dem sie diese schon vorab als radikal und demokratiefeindlich erklärte.
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) fürchtet ebenso "Aufmärsche" gegen die Demokratie. Und auch die Verfassungsschützer der Länder schlagen Alarm. Der Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Protest über hohe Teuerungsraten scheint dabei vielen an den Haaren herbeigezogen und zeigt, wie viel Angst die Politik davor hat, dass die Wut ihren Weg „auf die Straße“ findet. Derartige Äußerungen dürften einige dazu ermuntern, demonstrieren zu gehen.
Umfragewerte zeigen ansteigende Frustration
Das Protestpotenzial spiegelt sich auch in den Umfragen wider. In einer aktuellen Umfrage von Ipsos, ist nicht einmal mehr jeder Fünfte (19%) zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. 37% der Befragten geben hingegen an, dass sie sehr unzufrieden seien. Laut ZDF-Erhebungen meinen 58% der Befragten, dass die Maßnahmen der Bundesregierung nicht ausreichen würden, um die Belastungen der Haushalte durch Inflation und Energiekrise auszugleichen. Passend dazu ermittelte vor zwei Wochen eine Umfrage von Insa, dass 44% der Befragten „wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich“ bei Protesten gegen hohe Energiepreise teilnehmen würden.
Ablesbar ist der wachsende Unmut auch aus den aktuellen Umfrageergebnissen der „Rand-Parteien“. Im Bund kommt die AfD in Umfragen auf 12% - das ist ihr höchster Wert seit März 2020. In Thüringen führt die Rechtsaußen-Parteien mit 25% aktuell die Umfragen sogar an. Noch stärker ist sie mit 28% in Sachsen – auch wenn hier die CDU noch mit 33% Zustimmung vor ihr liegt. Die Linken „zittern“ sich auf Bundesebene nach 3,5% im Mai wieder über die 5%-Marke.
In den Nachbarländern gehen Menschen bereits auf die Straße
Einen Vorgeschmack auf die Proteste erhalten aufmerksame Beobachter, die ihren Blick auf unsere europäischen Nachbarn schweifen lassen. In Frankreich wird bereits seit Wochen gegen die steigenden Lebensmittelpreise und Energiekosten protestiert. Die Regierung um Emmanuel Macron reagiert ähnlich wie Berlin mit Entlastungspaketen: Kraftstoffrabatt, Sozialleistungen, ein „Überstunden-Rückkaufprogramm“ für Arbeitgeber… Alle diese Maßnahmen sollen erneute Gelbwesten-Proteste verhindern.
Auch in den Niederlanden, Polen und Italien gibt es bereits anhaltende Proteste. Die jüngsten Erfolge der Rechtsaußen-Kräfte in Frankreich (Marine Le Pen) und die in Umfragen führende rechte Allianz in Italien aus Fratelli d'Italia, Lega Nord und Forza Italia passen ebenso in dieses Bild. Die Fliehkräfte in Europa gewinnen an Stärke.
Die Ruhe erkaufen
Die Bundesregierung hat in diesem Umfeld nur zwei Möglichkeiten. Entweder kehrt sie den Sanktionen gegen Russland den Rücken oder sie „erkauft“ sich die Ruhe ihrer Bevölkerung. Den zweiten Weg bereitet Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bereits rhetorisch vor. Wenn die Menschen im Herbst ihre Energierechnung bekämen, sei das „sozialer Sprengstoff“, so der Kanzler. Aus Sicht von FUCHSBRIEFE ist das die Anmoderation für weitere Entlastungspakete im Herbst und Winter.
Die Frage ist nur, wie lange das insbesondere der liberale Koalitionspartner mitmacht. Bisher, so hören wir aus dem Bundestag, arbeite die Koalition vor allem deshalb gut zusammen, weil alle drei Koalitionspartner „Kröten schlucken müssen“. Der Kanzler tut gut daran, dieses Gleichgewicht nicht ins Wanken zu bringen. Denn gerade die FDP muss eine ganze Menge „Kröten schlucken“ (FB vom 11.08.2022, Artikel „Haushalt“).