Lügen sich EZB und Fed in die Taschen?
Beleg 1: Die Europäische Zentralbank musste gestern ihre Wachstumsannahmen für die Eurozone massiv revidieren. Noch am 15. Juni ging sie – entgegen den breiten Marktannahmen und zur Überraschung der meisten Konjunkturexperten – von einem kumulierten Wachstum von ordentlichen 2,4% für die Eurozone in den Jahre 2023 plus 2024 aus. Die Konsensannahme lag schon vor knapp drei Monaten eher bei 1,5%. Außerdem stand die EZB-Annahme schon damals im Kontrast zu den allermeisten Frühindikatoren.
Gestern ging sie mit den Erwartungen auf 1,7% herunter. Ein drastischer Schritt, der ein weiteres Mal an ihrer Glaubwürdigkeit kratzt.
Streit im Zentralbankrat
Umgekehrt ist bekannt, dass im Zentralbankrat der Streit zwischen Hardlinern (Falken) und Zins-Softies (Tauben) an Schärfe zunimmt. Denn jeder Basispunkt bei den Zinsen hat inzwischen Auswirkungen auf Immobilienmärkte, Bauwirtschaft, Kreditkonditionen und damit Investitionen bzw. das Pleite-Geschehen und die Robustheit des jeweiligen Bankensektors.
Andererseits kommt die Inflation zwar runter, aber bei weitem nicht so schnell wie erhofft. Noch zuletzt stagnierte die Rate in der Eurozone bei 5,3%. Der Erwartungswert lag bei einem Rückgang auf 5,1%. Europas große Sorgenkinder Deutschland (6,5%) und Italien (6,3%) liegen deutlich darüber.
Auch die Fed war zu optimistisch
Beleg 2: Auch die US-amerikanische Fed, die schon deutlich konsequenter gegen die Preissteigerungen im Land ankämpft als die EZB in der Eurozone, wird erneut von einer „zu hohen“ Inflationsrate "überrascht". Im August zog die Rate sogar wieder auf 3,7% an. Im Juli betrug der Wert 3,2%.
Wieder wurden zahllose Experten auf dem falschen Fuß erwischt. Dabei liegt der Grund, anziehende Öl- und Energiepreise auf der Hand. Es wird Winter und die OPEC hat eine konsequente Gangart eingeschlagen. Die erdölexportierenden Länder sind nicht bereit, das Fördervolumen zu erhöhen und die Preise zu drosseln. Je mehr sich die Schwellenländer vom Westen emanzipieren, desto stärker werden solche Preiseffekte ausfallen. Zumal man auf die zum Teil - Versprechungen und (über)ambitionierten Vorhaben beim CO2-Ausstoß insbesondere der Politiker in der EU verweisen kann.
Fazit: Je deutlicher die Notenbanken zeigen oder zumindest den Verdacht erwecken, dass ihre Zinspolitik stark von externen politischen Einflüssen geprägt ist und je weniger sie konsequent auf den Auftrag Preisstabilität zu erhalten ausgerichtet agieren, desto höher und hartnäckiger wird die Inflation sein. Denn die Verbraucher-Erwartungen stellen sich darauf ein. Das ist eine gefährliche Schaukelpolitik, die dann möglicherweise schon bald wieder drastische Schritte erforderlich macht.
Empfehlung: Kalkulieren Sie nicht verfrüht mit einem Rückgang der Inflationsrate auf 2,0% und darunter. Eher werden die Notenbanken ihr Inflationsziel anpassen. Rechnen Sie auch eher mit weiter steigenden als rückläufigen Zinsen.