Warum die Notenbanken noch längst nicht fertig sind
„Die Inflation wird ‚sticky‘ sein, also hartnäckig auf dem Niveau von 3% bis 4% verharren“, ist der bekannte Fondsmanager Klaus Kaldemorgen überzeugt. Ich teile diese Ansicht. Dennoch heißt es allenthalben, die Notenbanken, insbesondere die US-amerikanische Fed und die EZB, könnten mit ihren Zinserhöhungen „überziehen“. Denn schließlich befindet sich Europa bereits in der Rezession und die USA schlittern nach Ansicht der Auguren mit großer Sicherheit hinein. Manche Marktteilnehmer erwarten daher schon bald wieder eine Zinswende.
Diese Argumentation wird meist von Volkswirten in den Banken vorgebracht. Sie ist selbstsüchtig und falsch. Wir mussten angesichts stark gestiegener Preise einen deutlichen Wohlstandsverlust in den beiden zurückliegenden Hochinflationsjahren hinnehmen. Europa sorgt sich zu Recht um den sozialen Zusammenhalt. Die Preisstabilität ist die Vorsorge des kleinen Mannes. Die Konjunkturstimulation ist bestenfalls die Kür, aber nicht die Pflicht der Notenbanken. „Die Hauptaufgabe der EZB ist es, für stabile Preise im Euroraum zu sorgen. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Preisstabilitätsziels möglich ist, unterstützt das Eurosystem die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union“. Sagt die EZB. Und auch für die Finanzierung der Klimapolitik sind die Notenbanken nicht zuständig.
Konjunkturstabilisierung ist im Notenbankkontext kein Selbstzweck
Zudem wird bei dieser Darlegung ein Punkt beinahe völlig übersehen: Die Konjunkturstabilisierung ist kein Selbstzweck, sondern im Notenbankkontext Mittel zum Zweck: Sie soll helfen, Arbeitslosigkeit zu senken, wenn diese im Zuge einer Rezession einsetzt. Das aber unterscheidet diese Rezessionsphase sehr deutlich von früheren: Wir haben Vollbeschäftigung obwohl die Gesamtleistung der Volkswirtschaft zurückgeht. Die Arbeitsmärkte sind leergefegt, die Unternehmen suchen weiter händeringend Fachpersonal. In dieser Hinsicht sind die Notenbank auf absehbare Zeit arbeitslos.
Ein Punkt wird in der Diskussion noch gar nicht hinreichend berücksichtigt: Die EZB plant, die Preissteigerungen für selbst genutzten Wohnraum – Einfamilienhäuser, Eigentumswohnungen – in die Berechnung der Inflationsrate einfließen zu lassen. Dass ihr das bislang nicht gelingt, hat vor allem technische Gründe. Doch gerade auf dem Immobilienmarkt waren im letzten Jahrzehnt gewaltige Preissprünge zu verzeichnen, die geldpolitisch beinahe unberücksichtigt bleiben. Das unabhängige Analyseinstitut empirica berichtet, dass die inserierten Kaufpreise für neue Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen in den letzten zehn Jahren deutschlandweit um 99% gestiegen sind. Die Neubaumieten haben im gleichen Zeitraum deutschlandweit um 44% zugelegt. Dies ist im Kern eine Folge der Stützungspolitik der Notenbanken für die Bankenbilanzen nach der Finanzkrise 2008 und die Staatshaushalte.
Das neue symmetrische Inflationsziel der EZB nicht aus dem Blick verlieren
Nicht zuletzt hat sich die EZB – allerdings noch vor der laufenden Hochinflationsphase – einem symmetrischen Inflationsziel verschrieben. Vereinfacht heißt das: Liegt die Inflation eine Zeitlang über dem Ziel von 2%, soll sie eine ähnlich lange Phase entsprechend darunter liegen. Und umgekehrt. Man trifft sich in der Mitte. Dass dies rückwärtig, also für die Jahre vor 2001 gelten soll, hat die EZB nicht formuliert.
Dass sie direkt in eine Hochinflationsphase kommen würde, hatte sie bei der Neuformulierung ihrer geldpolitischen Ausrichtung wohl nicht im Blick gehabt. Das heißt jetzt aber, wenn sich die EZB (und gleiches gilt für die Fed) ernst nimmt, muss sie eine Weile Inflationsraten deutlich unterhalb von 2% anstreben. Da aber sind wir noch lange nicht. An allen Ecken und Enden lauern erhebliche Risiken für die Stabilität der Preise: durch die Klimapolitik in Europa, durch die maroden Staatsfinanzen in vielen Ländern, die USA vorneweg, durch den Arbeitsmarkt und den Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand und und und …