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Wie die neue deutsche Regierung europäische Politik gestalten wird

Vorerst führungslos

Wie die neue deutsche Regierung europäische Politik gestalten wird. Copyright: Pexels
Die Bundestagswahl steht an – und sie ist nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa von Bedeutung. Angela Merkel, die in den vergangenen 16 Jahren maßgeblich die Geschicke Europas mitbestimmt hat, verabschiedet sich in den Ruhestand. Eine neue Regierung wird an die Macht kommen. Wie wird sie die deutsche Europa-Politik weiterentwickeln?

Anstöße für strukturelle EU-Reformen sind aus Berlin auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Reformen könnten etwa die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips, Initiativrechte für das europäische Parlament, ein koordiniertes EU-Vorgehen in Migrationsfragen oder eine Angleichung der Steuer- und Sozialsysteme sein. Unter den Mitgliedsstaaten herrscht in diesen Punkten Uneinigkeit. Diese Haltung führt zum politischen Stillstand der EU und gefährdet den Zusammenhalt des Staatenverbundes.   

Die Programmatik von CDU/CSU steht für ein europapolitisches „Weiter so.“ Die Grünen wollen dem EU-Parlament immerhin mehr Kompetenzen sowie ein Gesetzes-Initiativrecht geben. Doch hierzu ist Einstimmigkeit unter den 27 Mitgliedstaaten nötig. Die Grünen setzen auf „Einsicht und Erkenntnis.“ Das klingt naiv, gerade angesichts der derzeitigen Spannungen etwa mit Ungarn, Polen, Slowenien.

Neue Regierung vorerst mit sich selbst beschäftigt

Zudem wird die neue deutsche Regierung aus gänzlich neuen Köpfen bestehen (vgl. FB 29.7.2021). Bis zur Arbeitsfähigkeit wird es dadurch eine Weile dauern. Danach werden nationale Themen die Tagespolitik dominieren, um den notwendigen Rückhalt in der Bevölkerung zu gewinnen.

Auch verliert Deutschland mit Angela Merkel eine zentrale europäische Führungskraft. Wer auch immer in ihre Fußstapfen tritt, wird sich erst einmal darum bemühen müssen, Autorität zu erlangen. Das wird ein paar Jahre dauern.

Führungsloses Europa

Europa steht damit nach der Konstitution der neuen Regierung vorerst führungslos da. Denn auch Frankreich wird sein Europa-Engagement herunterfahren. Im ersten Halbjahr 2022 hat die Grande Nation zwar die EU-Ratspräsidentschaft inne. Amtsinhaber Emmanuel Macron wird angesichts der Präsidentschaftswahlen im eigenen Land aber nicht den "neutralen Makler" geben können, der der EU-Ratspräsident eigentlich sein soll.

Nationale Angelegenheiten werden im französischen Wahlkampf eine bedeutende Rolle spielen. Da fällt es schwer, in Brüssel zu hofieren. Der Ausgang der französischen Wahlen im April 2022 ist offen, Macrons Wiederwahl keineswegs gesichert.

Ratspräsidentschaft ohne Ambitionen

Das Programm für die französische Ratspräsidentschaft versprüht keine Euro-Euphorie. Clément Beaune, französischer Staatsekretär für europäische Angelegenheiten nennt als wichtigste Vorhaben „die Regulierung von digitalen Diensten, die Bereitstellung neuer Mittel für den Europa-Haushalt, die CO2-Grenzsteuer und den Grenzschutz.“

Informelle Strukturen ersetzen etablierte Institutionen

Strukturreformen treffen auch nicht den politischen Zeitgeist. In der Corona-Krise standen die EU-Institutionen (ausgenommen in der Debatte um den EU Next Generation Fund) im Schatten der Mitgliedsstaaten. Zusammenarbeit und Dialog ist unter den 27 Mitgliedern so gut wie unmöglich geworden. Informelle Gremien wie eine „Allianz der Willigen“ bei Klimaschutz oder Migration werden daher in Zukunft maßgeblich Europa-Politik bestimmen.

Reformen in Europa entstehen bestenfalls durch Zwang. Der könnte in der europäischen Peripherie – Süd- und Osteuropa entstehen. Spanien kämpft inzwischen ebenfalls mit einem riesigen Schuldenberg, hoher Jugendarbeitslosigkeit und Separatismus bei gleichzeitig niedrigem Wirtschaftswachstum (vgl. FB vom 25.2.2021). Ähnliches gilt für Griechenland. Und Italien wiederum ringt neben der Verschuldung mit aufstrebenden rechtsextremen Anti-Euro-Kräften (vgl. FB 3.5.2021). Auch Polen und Ungarn scheren aus der Gemeinschaft aus (vgl. FB 28.6.2021).

Fazit: Strukturreformen in Europa scheitern weiter an den Partikularinteressen der Mitglieder. Daran wird auch eine neue deutsche Regierung nichts ändern. Der Ruf der Mitgliedsstaaten nach Reformen wird erst dann laut werden, wenn aufgrund einer Staatsschuldenkrise oder EU-Separatismus das europäische Haus brennt.

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