Geopolitische Auswirkungen des Hamas-Angriffs auf Israel
Der Angriff der Hamas auf Israel zeigt den Bedeutungsverlust des Westens im Nahen Osten an. Vor allem ein langer Krieg hat das Potenzial, eine weitreichende geopolitische Verschiebung auszulösen. Problematisch ist das neben den Kriegsparteien vor allem für die USA, die Ukraine und Europa. Geopolitische Sieger des Kriegsausbruchs dürften der Iran, China und Russland sein.
Innenpolitischer Druck auf US-Regierung nimmt zu
Die US-Regierung steht nach dem Ausbruch des Krieges im Nahen Osten unter doppeltem Handlungsdruck. Washington wird seinen Verbündeten Israel kräftig unterstützen. Für US-Präsident Joe Biden ist die Situation aber prekär, denn er bietet im heraufziehenden Wahlkampf Angriffsfläche. In jedem Fall werden Republikaner, im schlechtesten Fall auch Demokraten, Druck auf ihn ausüben, die Nahost-Politik der USA neu auszurichten. Die Republikaner gaben US-Präsident Joe Biden sofort eine Mitschuld an der Eskalation. Der Vorwurf: zu sanfte Iran-Politik. Der Iran unterstützt die Hamas seit Jahren erheblich.
Ein weiteres Problem für die US-Regierung ist der israelische Verbündete selbst. Macht die Regierung um Benjamin Netanjahu ihre Vergeltungspläne wahr, wozu sie militärisch in der Lage ist, dürften die US-Demokraten den Druck auf Präsident Joe Biden erhöhen. Sie werden eine Mäßigung der Unterstützung anmahnen, um weitere Todesopfer zu vermeiden. Eine nachlassende Unterstützung der USA für Israel (weil Netanjahu überzieht), könnte sogar ein Kalkül der Hamas sein, um eine Politikwende in Israel zu erzwingen.
Iran profitiert vom Keil zwischen Israel und Saudi-Arabien
Die Friedens-Pläne der Biden-Regierung für den Nahen Osten sind nun obsolet. Die USA arbeiten schon lange an einem Abkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien. Die Saudis verurteilen den Angriff der Hamas jedoch nicht und geben Israel dagegen eine Mitschuld am Ausbruch des Krieges. Das von Washington angestrebte Abkommen rückt damit in weite Ferne.
Der Iran hat ein Interesse an diesem Keil zwischen den Saudis und Israel. Das Abkommen hätte vor allem Teherans Stellung in der Region geschwächt. Der Iran und Saudi-Arabien nähern sich aber seit einiger Zeit wieder vorsichtig an (FB vom 13.03.2023). Auch diese diplomatische Wende, entstanden unter Vermittlung Chinas, schwächt den Einfluss der USA im Nahen Osten. Wegen der Schwächung Israels ergeben sich für den Iran neue Möglichkeiten, seine Basis um Libanon zu festigen.
Auswirkungen auf Ukraine-Hilfen und Energiepreise
Der Krieg im Nahen Osten könnte auch auf die Ukraine ausstrahlen. Ein langer Krieg würde auch finanzielle Hilfen erforderlich machen. Angesichts der angespannten US-Haushaltslage (FB vom 02.10.2023) würden diese in Konkurrenz zu den Ukraine-Hilfen stehen.
Kiew fürchtet bereits um die Unterstützung der USA. Wolodymyr Selenskyj hat sofort zu einem "gemeinsamen Kampf gegen den Terror" aufgerufen. Kurz vor dem Treffen der NATO-Verteidigungsminister (11./12.10 in Brüssel) betonte er, dass er hoffe, dass der Westen mit seiner Hilfe für die Ukraine nun nicht nachlasse. Würde die USA den Krieg in Israel zum Anlass nehmen, Hilfen umzuschichten, müssten die Europäer die Lücken füllen. Das deutet darauf hin, dass der Ukraine-Krieg nicht mehr ewig aufrechtzuerhalten ist.
Krieg wird neuer Energiepreis-Treiber
Außerdem wäre ein langer Krieg auch ein neuer Energiepreistreiber, den vor allem Europa zu spüren bekommen dürfte. Die Ölpreise sind in einer ersten Reaktion bereits um 3,5% gestiegen. Noch stärker zieht es die Gaspreise an der niederländischen Energiebörse TTF nach oben (7,8%). Denn nun sind auch die zwischen der EU und Israel vereinbarten LNG-Lieferungen bedroht. Gas aus Israel wird in Ägypten verflüssigt und dann nach Europa geschickt (FB vom 23.06.2022). Im Oktober sollten die Lieferungen nach einer Sommerunterbrechung wieder aufgenommen werden. Ob das reibungslos gelingt, ist nun fraglich.